berlin034Als wichtige, fast schon symbolische Teile in diesem stadtgeschichtlichen Mosaik können die drei hier wieder aufgestellten Standbilder gelten: Albrecht Daniel Thaer, Peter Christian Wilhelm Beuth und Karl-Friedrich Schinkel waren herausragende Köpfe des 19. Jahrhunderts – und als Agrarreformer, als „Vater der preußischen Gewerbeförderung“, als Architekt verkörpern sie heute wieder die Bedeutung von Wirtschaft und Gewerbe. Denn neben staatlicher Repräsentation und Verwaltung, neben Kultur und Wissenschaft mit Theatergebäuden und der Universität hatte Berlin in seiner Mitte, im Einzugsbereich der Prachtstraße Unter den Linden immer auch eine kommerzielle Note. Um diesen urbanen Vielklang heute wieder zu erreichen, setzt die Entwicklungsmaßnahme auf die städtebauliche Strategie funktionaler „Verdichtung und Mischung“. Durch den Rückgriff auf die Stadtgeschichte aber, mit der Kombination von Vertrautem und Innovativem ergibt sich darüber hinaus ein kultureller Mehrwert, urbane Dynamik und vor allem städtisches Selbstbewusstsein. Denn der Rückblick auf Vergessenes braucht Orientierungspunkte, um wiederum das Wissen über die Geschichte zu aktivieren, den genius loci aufzurufen.

Um historische Raumfolgen wieder bewusst zu machen, muss die Verbindung von Alt und Neu authentisch wirken, mehr sein als nur bloßes Imitat. Eine in diesem Sinne „gesuchte“ Gestaltung ist der ungewöhnliche, dreieckige Grundriss des Hausvogteiplatzes. Er verweist auf eine Zeit, in der dieser Teil Berlins als Bastion, als befestigter Teil der Stadtmauer diente. Eine weitere historische Schicht wird – wie in einem Lesebuch der Stadtgeschichte – durch die renovierten oder mit Blick auf die ursprüngliche Struktur wieder aufgebauten, den Platz einfassenden Gebäude repräsentiert. Auf dem Friedrichwerder hatte der im Dritten Reich errichtete Neubau der Reichsbank die alte Stadtstruktur unwiederbringlich zerstört. Nachdem das 1933-38 von Heinrich Wolff geplante, zu DDR-Zeiten dann vom ZK der SED genutzte Gebäude zum Sitz des Auswärtigen Amtes bestimmt worden war, galt es, in der näheren Umgebung durch überlegte Eingriffe sowohl neuen Entwicklungen Raum zu geben als auch Anklänge an die Geschichte dieses Ortes spürbar werden zu lassen.

berlin036Aus den in der DDR entstandenen Brachen und dem maßstabslosen Parkplatz wurden die Flächen zur Wiederherstellung der ehemaligen, den Stadtgrundriss prägenden Straßen und zur Anlage der beiden Parks auf dem Friedrichswerder als auch der Baugrund für die „Berlin Townhouses“ gewonnen, deren bewusst kleinteilige Parzellierung sich an den mittelalterlichen Grundriss auf dem Friedrichswerder anlehnt. Zugleich repräsentieren diese Stadthäuser als „gute Adressen“ das Leitbild einer intensiven und nachhaltigen Nutzung der Innenstadt, nun auch wieder vermehrt für Wohnzwecke.

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Zu diesem Aspekt der Entwicklungsmaßnahme kann auch die angestrebte Wiederbelebung des Petriplatzes durch den bereits erfolgten Rückbau der beiden zubetonierten Parkplätze entlang der Gertraudenstraße sowie die Rückführung der angrenzenden Breite Straße auf ihre historische Dimension gerechnet werden. Dass bei der Herrichtung zum städtischen Platz in ursprünglicher Gestalt und den anschließenden Vorbereitungen für eine Bebauung Teile der Fundamente des ersten Schulgebäudes, der „Lateinschule“, der zerstörten Petrikirche, Reste von ersten Bürgerhäusern und des Cöllner Rathauses sowie mittelalterliche Gräber gefunden wurden, untermauert wiederum den engen Bezug zur Geschichte. Folglich werden die Grabungsfunde in einem vom Architekten Florian Nagler geplanten archäologischen Besucherzentrum an der westlichen Seite des Platzes auf Dauer dokumentiert. Die Mitte des jahrzehntelang brachliegenden Platzes wird ein vom Büro Kuehn Malvezzi entworfenes interkonfessionelles Bet- und Lehrhaus dominieren, in dem Christen, Juden und Moslems, also die drei „Buchreligionen“ gleichberechtigt unter einem Dach zusammenkommen, eine zeitgemäße Form der Interpretation dieses historisch bedeutenden Ortes.

(Jochen Stöckmann)

 

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Was in der historischen Mitte Berlins gebaut wird, sagt etwas über uns aus: über unser Selbstverständnis, über das, was uns wichtig ist. Was hier entsteht, wird ein gesamtgesellschaftliches Symbol sein.

Peter Conradi, 1997

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