berlin045Wichtigste Grundlage dieser Atmosphäre demokratischer Offenheit war und ist eine bewusst städtische Positionierung und Gestaltung der Neubauten für das Parlament, etwa beim Paul-Löbe-Haus: Erst in diesem Entwicklungs-Kontext ergeben sich mit Vorsprüngen in der kammartigen Fassade, den nach außen geöffneten Innenhöfen und im Wortsinne „gläsernen“ Abgeordnetenbüros zahlreiche „Einblicke“ und Übergangssituationen zum öffentlichen, urbanen Raum. Für jeden Besucher zugänglich ist im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus der Kunst-Raum untergebracht, eine Galerie für Ausstellungen aus Beständen der Kunstsammlung des Bundestags. Außerdem sind an diesem historischen Ort Teile der einstigen Grenzanlage zum öffentlichen Mauer-Mahnmal umgestaltet worden.

Aber auch das Kanzleramt ist alles andere als ein einschüchterndes Monument hinter glatten, abweisenden Mauern. Die Eingangsfront, so der Architekt Axel Schultes, „gleicht einer offenen Pforte.“ So wird auch das Kanzleramt einbezogen in das abwechslungsreiche Formenspiel der Parlaments- und Regierungsbauten, die in ihrer Gesamtheit die Kulisse, den Rahmen bilden für städtisches Leben. Als Krönung dieser republikanischen Baukultur darf heute die anfangs als „wilhelminisch“ gescholtene und vom Architekten Sir Norman Foster auch nur widerstrebend auf den umgebauten Reichstag gesetzte Kuppel gelten.

 

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Ein Besuch dieses gläsernen Meisterstücks der Ingenieurbaukunst ermöglicht nicht nur den idealen Blick über das Regierungsviertel und die benachbarten, mit ihm verzahnten Stadtteile – hier kann auch jeder Bürger von oben herab, aus der klassischen Position des „Souverän“, auf seine Repräsentanten schauen.

Für den englischen Soziologen John Parkinson sind das mehr als nur architektonische oder städtebauliche Finessen, er stuft Berlin in seinem Vergleich von 16 Regierungs- und Hauptstädten auf einem der vordersten Plätze ein, wenn es um „Demokratie und öffentlichen Raum“, um „The Physical Sites of Democratic Performance“ geht.

Um diese zuerst einmal nur symbolischen Dimensionen der Stadtplanung physisch konkret, aber auch mit entsprechend großzügiger Geste realisieren zu können, wurden im Regierungsviertel von Beginn an buchstäblich „Freiräume“ geschaffen, denn die für den Anlieferverkehr für den Reichstag, das Paul-Löbe-Haus und das Jakob-Kaiser-Haus erforderlichen Transportwege verlaufen unterirdisch. So wurde durch die Einfügung der Parlaments- und Regierungsbauten einschließlich der Verwaltungsgebäude sowie des größten Teils der Ministerien in die städtische Struktur nicht nur jenes „Parlament der kurzen Wege“ realisiert, das der Ältestenrat des Deutschen Bundestags im September 1991 beschlossen hatte – mit der planerischen Einbindung des Regierungsviertels in Berlins Mitte entstand ein urbanes Mosaik, begeh- und erlebbar für die Bevölkerung.

Um die unterschiedlichen „Hauptstadtfunktionen“ derart in eine nach 1989 ebenso rasant wie grundlegend gewandelte Metropole zu integrieren, bedurfte es zügiger Vorbereitung und gründlicher Planung: Allein um die materiellen Voraussetzungen – allen voran einen sicheren Baugrund – zu schaffen, waren umfangreiche Beräumungsmaßnahmen, Altlastenbeseitigungen und Tiefenenttrümmerungen wie die Entfernung massiver Fundamente für die von Albert Speer im Dritten Reich projektierten Monumentalbauten nötig, aber auch die Beseitigung von Kampfmitteln.

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Vor allem aber wurde mit mehr als 20 städtebaulichen und landschaftsplanerischen Wettbewerben der Entwicklungsmaßnahme und über 40 Bebauungsplanverfahren, in denen öffentliche Zugänglichkeit und städtische Einbindung im Vordergrund standen, ein strukturelles Netzwerk geschaffen: So fügen sich selbst prominente Einzelobjekte in die harmonisch in die Stadt integrierten Regierungsviertel am Spreebogen und auf der Spreeinsel ein, ohne die Entwicklung urbaner Räume zu dominieren oder gar zu behindern.

Auf das Stadtbild Berlins hat diese Konzeption eines dialogischen, öffentlichen und für Veränderungen offenen Bauens abgefärbt: Die Ministerien und Verwaltungsgebäude im Zentrum – ganz gleich, ob in vorhandenen oder neu errichteten Gebäuden in den zentralen Bereichen Berlins –, dazu Botschaftsgebäude im ehemaligen Diplomatenviertel, am Pariser Platz oder eingestreut inmitten des historischen Stadtkerns sowie die Neubauten für die Vertretungen der einzelnen Bundesländer unter anderem in den Ministergärten trumpfen nicht mehr im Stil einseitiger politischer Repräsentation auf, sondern suchen die urbane Nachbarschaft, den Austausch mit der Stadt, mit der Bürgergesellschaft.

 (Jochen Stöckmann)

 

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Brückenprojekte im Entwicklungsbereich

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Was uns sonst keiner glaubt: dass wir hier alle Funktionen des Parlaments
und den Wohnbedarf der Abgeordneten bequem und fußläufig zum Reichstag unterbringen. Das Parlament der kürzesten Wege – das haben wir.
Volker Hassemer, 1991

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