Neues Leben
Hauptstadt werden ist nicht schwer, aber Hauptstadt sein – das setzt einiges voraus: Vor allem eine umsichtige und vorausschauende Planung hat seit dem entsprechenden Beschluss des Bundestags im Sommer 1991 dafür gesorgt, dass Berlins „Regierungsviertel“ der Stadt nicht wie ein Klotz am Bein hängt, sondern urbane Impulse vermittelt.
Regierung und Parlament, aber auch Botschaften, Ministerien oder Verwaltungen wurden mit ihrem gewaltigen Flächenbedarf nicht einfach en bloc auf einem separaten Areal angesiedelt, sondern Haus für Haus mit der stadträumlichen Struktur verwoben. So bietet etwa die Stadt zwischen Fernsehturm am Alexanderplatz, Brandenburger Tor und Siegessäule – den Landmarken der alten, bis 1989 in Ost und West geteilten Stadt – nach zwanzig Jahren Hauptstadtentwicklung mehr als nur eine funktionierende Infrastruktur. Hier gibt es aufregende Architektur und erholsame Grünflächen, einen würdigen Rahmen für Staatsbesuche, Sightseeing für Touristen. Selbst für alteingesessene Berliner eröffnen sich überraschende Einblicke in die Geschichte ihrer Stadt. Tagtäglich, auch ohne Hunderttausende auf der Fanmeile an der Straße des 17. Juni, erweisen sich die neu gestalteten Quartiere als Kristallisationspunkte: Ob Zugreisende und Bewohner oder Angestellte aus der künftigen Europacity gegenüber dem Hauptbahnhof, Jogger aus dem Tiergarten, Kunstfreunde nach dem Besuch des Kulturforums um die Philharmonie oder Parlamentarier unterwegs in den Sitzungssaal – ihre Wege kreuzen sich vorm Reichstag, sie begegnen sich neben dem Kanzleramt oder durchqueren das Regierungsviertel über die Uferwege des Spreebogens.
Noch 1989 verlief hier die Mauer. Heute charakterisiert städtisches Grün des Spreebogenparks mit dem Forum und dem Platz der Republik die einstige Brachfläche, gegliedert durch das „Band des Bundes“.
Darin verbinden nach dem städtebaulichen Entwurf von Axel Schultes und Charlotte Frank hintereinander aufgereiht Kanzlergarten, Bundeskanzleramt und Forum, Paul-Löbe-Haus sowie das gegenüberliegende Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (beide vom Architekten Stephan Braunfels) mit dem zur Zeit entstehenden Erweiterungsbau den über Jahrzehnte getrennten West- und Ostteil der Stadt miteinander – nicht mit einer auftrumpfenden Magistrale, sondern durch eine ebenfalls monumentale, aber durch den Flussverlauf der Spree zweimal aufgebrochene Achse.
(Jochen Stöckmann)